„Die Kurve ist Quatsch“

Die ignorierte Chronologieabweichung als Fallgrube für Naturwissenschaftler

Hans-Erdmann Korth
erschienen in Zeitensprünge 3/04, 688-692


Weit aus dem Fenster gelehnt hat sich Prof. Dr. Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung des GKSS Forschungszentrums in Geesthacht. Unter der Überschrift „Die Kurve ist Quatsch“ brachte der SPIEGEL ein Interview mit dem Klimaforscher, in dem dieser seine neueste Veröffentlichung in der Zeitschrift „Science“ vorstellte. Dort stellt er den anhand seines Klimamodells ermittelten Verlauf der Erdoberflächentemperatur während der vergangenen tausend Jahre dar. Die neuen Ergebnisse zeigen, nach v. Storchs Meinung,

"...dass die Rekonstruktionen, die üblicherweise benutzt werden, um die jüngsten extremen Klimaänderungen hervorzuheben, wahrscheinlich irreführend sind. Sie unterschätzen die Temperaturschwankungen von Jahrhunderten möglicherweise ganz erheblich.“

Das gelte insbesondere für die unsinnige von Prof. M. Mann veröffentlichte Temperaturkurve [Mann et al.]. Diese bisher als gültig akzeptierte Kurve werde jedoch von Mann zu Unrecht seit Jahren gegen alle Kritik verbissen verteidigt.

Dem Verfasser dieser Zeilen kam der Verlauf der beiden im SPIEGEL abgebildeten Kurven merkwürdig bekannt vor. Der Verdacht bestätigte sich schnell: Die Temperaturkurven von v. Storch (1) und Mann (2) zeigen, wie in der Abbildung zu sehen, eine enge Korrelation mit (4), der testweise hinzugefügten Kalibrierkurve für das Radiokarbonverfahren zur Altersbestimmung [Stuiver]. Das ist erstaunlich! [Loriot - passim]. Zufall? Oder sollte die Temperatur etwa zu guten Teilen vom C14-Gehalt der Atmosphäre abhängen? Schwer vorstellbar. Die Annahme, dass es dann wohl eine gemeinsame Ursache für den Verlauf der Temperatur und die Konzentration von C14 gibt, muss ebenfalls sogleich verworfen werden: Die Schwankungen der mittleren Temperatur des vergangenen Jahrtausends betrugen weniger als ein Grad. Dagegen war die Konzentration von C14 nach der herrschenden Lehre derart starken Schwankungen unterworfen, dass streckenweise bei den unkalibrierten Radiokarbondatierungen das gemessene Alter aufeinander folgender Baumringe paradoxerweise sogar mit dem Lauf der Zeit zuzunehmen scheint.


Jahrestemperatur der nördlichen Hemisphäre nahe der Erdoberfläche während des vergangenen Jahrtausends, bezogen auf den Mittelwert von 1900 bis 1980 [Quelle: GKSS]. Kurve (1) zeigt den Verlauf nach dem Klimamodell von v. Storch et al., Kurve (2) nach dem Modell von Mann et al. Ein gemischtes Modell liefert Kurve (3). Überraschend ist der synchrone Verlauf der Temperaturkurven mit der vom Verfasser hinzugefügten Abweichung zwischen Dendrochronologie und C14-Datierung (4). Dieser erklärt sich erst aus einer gemeinsamen fehlerhaften Zeitachse.

Geht man die Sache mit chronologie-kritischem Blick an, so zeigt sich, dass schon der Verlauf der Kalibrierkurve physikalisch unmöglich ist, wenn diese - wie behauptet - die Konzentration von C14 wiedergibt [Korth]: Der jeweils streckenweise lineare, drei i. W. festen Steigungswerten folgende Verlauf würde eine C14-Produktion voraussetzen, die entsprechend zwischen drei festen Werten abwechselt. Darüber hinaus wäre absurderweise die Streuung der einzelnen Messwerte in hohem Maße von der Kurvensteigung abhängig. So verbleibt die Frage, wie bei diesen Gegebenheiten die Temperaturkurve mit einem offenbar unsinnigen Verlauf derart eng korrelieren kann.

Die nahe liegende Erklärung wird die Leser der Zeitensprünge nicht überraschen: Sowohl die Temperaturkurven wie auch die Kalibrierkurve für Radiokarbon beruhen auf der (leider falschen) Annahme, dass die scheinbar so leicht verifizierbare Dendrochronologie einen gültigen Maßstab für die Zeitachse darstellte. Durch den Bezug auf die Dendrochronologie wurden daher die Temperaturkurven in der gleichen Weise verformt wie die Kurve der vorgeblichen C14-Konzentration. Besonders gut sichtbar ist dies am Verlauf ab etwa 1350 n.Chr. bis zum Beginn der Industrialisierung. In der Zeit vor 1350 verläuft die Dendrochronologie dagegen zumeist regulär, bis auf einige kleine 'Ausreißer', die sich ebenfalls in den Temperaturkurven abbilden. Dass der Kurvenverlauf von (1) und (2) sich während des Mittelalters auch untereinander wesentlich unterscheidet, mag von den unterschiedlichen Ausgangsdaten und Mittelungsintervallen herrühren.

Also alles Lug und Trug? Keineswegs. Für eine schlüssige Erklärung muss die gefundene Korrelation genau eine Ursache haben: die überdehnte Dendrochronologie. Dies bestätigt nochmals, was der Verfasser seit Längerem gezeigt hat, nämlich dass die atmosphärische C14-Konzentration (genauer: das 14C/12C Isotopenverhältnis) im Wesentlichen konstant blieb, wenn man von einem geringen stetigen Abfall aufgrund der CO2 Freisetzung nach der letzten Eiszeit und von kleineren statistischen Schwankungen absieht. Wären sowohl C14 als auch Dendrochronologie stärkeren erratischen Schwankungen unterworfen, wie dies von [Blöss/Niemitz] in den ZS so emotionsstark postuliert wurde, dann könnte der ermittelte Temperaturverlauf nicht mit der Differenz (!) dieser Variablen (genau: Dendrochronologie – (1950 – Radiokarbonalter)) korrelieren.

Leider nutzt es nur wenig, dass die C14-Datierung im Rahmen ihrer Messgenauigkeit in der Lage wäre, weitgehend objektive Altersbestimmungen zu liefern. Durch den technischen Aufwand und die 'empirische' Kalibrierprozedur bleiben die Resultate völlig intransparent und ungenau. Nur so konnte es auch geschehen dass (wie ebenfalls im SPIEGEL unter dem Titel „Mogelei im Knochenkeller“ zu lesen) der Leiter des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Frankfurt, Professor R. Protsch v. Ziethen, jahrzehntelang seine meditativen Betrachtungen am Schreibtisch als C14-Datierungen für teuer Geld verkaufen konnte.

Zurück zum Erdklima: Die Kurve ist Quatsch? Welche, (1) oder (2)? Beide! Dagegen zeigt die Vergleichskurve (4) - bei richtiger Interpretation - in guter Näherung den Datierungsfehler der Dendrochronologie. Dieser ist auch in vielen anderen über historische Zeiträume (natürlich ohne Berücksichtigung der Leerzeit des Frühmittelalters) rekonstruierten Variablen nachweisbar (z.B. der dendrochronologischen Belegdichte, dem Eichenwuchs und sogar in der durch die Gezeitenreibung bedingten Verlangsamung der Erdrotation). Aber wie entwickelte sich das Klima des vergangenen Jahrtausends wirklich? Und was ist mit der 'kleinen Eiszeit', deren kalte Winter einen Pieter Breugel zu seinen herrlichen Winterszenen angeregt haben sollen? Die Temperaturkurven verraten uns hierrüber nichts. Erst die Rekonstruktion auf der Basis einer korrekten Chronologie kann uns gesicherte Erkenntnisse liefern.

Auch schon vor der Veröffentlichung v. Storchs hatten sich Zweifel an der Kurve von Mann gehäuft. Die kanadischen Wissenschaftler Mc Kitick und Mc Intyre fanden heraus, dass jene, einem Hockey-Schläger ähnelnde Temperaturkurve auch bei der Verwendung von schlichten Zufallszahlen entstand. Eine Veröffentlichung ihres Befundes wurde jedoch von der Zeitschrift 'Nature' aus formalen Gründen abgelehnt. Frustriert stellten die Verfasser ihren Aufsatz nebst Korrespondenz schließlich ins Internet. Dieses Beispiel behinderter wissenschaftlicher Kommunikation wurde dann in mehreren Kolumnen von R. A. Muller in 'Technology Review' aufgenommen (Muller ist Physik-Professor an der University of California in Berkeley. Außerdem ist er seit 1972 Berater für die nationale Sicherheit der USA.):

Der wissenschaftliche Fortschritt hat manchmal mit großen Entdeckungen zu tun. Manchmal kommt die Wissenschaft aber auch dann vorwärts, wenn wir lernen, dass etwas nicht der Wahrheit entspricht, was wir zuvor für richtig hielten. Wenn man ein Puzzle zusammensetzt, wird seine Fertigstellung manchmal dadurch verhindert, dass ein falsches Stück mit aller Macht an eine wichtige Stelle gedrückt wurde.“

Aber auch recht unsinnige Kurven können uns noch etwas Interessantes zeigen: Beim Versuch, die unerkannte Leerzeit mit plausiblen Daten zu überbrücken, wurden offensichtlich die Fehldatierungen über mehr als ein Jahrtausend verteilt. Die größten Störungen des unkritisch bestimmten Temperaturverlaufs zeigen sich daher überraschenderweise zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert. Das heißt jedoch nichts Anderes, als dass gerade diejenigen naturwissenschaftlichen Daten weithin inkorrekt sind, auf denen z.B. die derzeitigen Klimamodelle beruhen. Auf deren Basis werden jedoch, wie v. Storch zutreffend feststellt, wichtige Weichenstellungen für die Zukunft getroffen.

Bei allem Respekt gegenüber den Historikern: Es geht bei den Bemühungen zur Richtigstellung der Chronologie offenkundig um weit mehr, als nur um Karl den Großen und ein paar verstaubte Urkunden!


Literatur:

C. Blöss / H-U. Niemitz: Beweist der Kalendersprung die C14-Methode? Eine Replik auf H.-E. Korth; in: Zeitensprünge 15 (2) 423-429

Korth, H.-E., 2002: Anomalie der 14C Kalibrierkurve beweist Kalendersprung; in: Zeitensprünge 14 (2) 49-67

McKitrick, R., McIntyre, S., 2003: Corrections to the Mann et al (1998) Proxy Data Base and Northern Hemisphere Average Temperature Series; http://www.uoguelph.ca/~rmckitri/research/trc.html

M.E. Mann, R. S. Bradley, M.K. Hughes, Global-scale temperature patterns and climate forcing over the past six centuries; Nature 392, 779-787 (1998).

Muller, R. A., 2004: Global Warming Bombshell http://technologyreview.com/articles/04/10/wo_muller101504.asp

http://technologyreview.com/articles/03/12/wo_muller121703.asp

Auf Deutsch: Rechenfehler bei der globalen Erwärmung, http://www.heise.de/tr/aktuell/meldung/52478/1

Schulz, Matthias (2004), Mogelei im Knochenkeller; in: DER SPIEGEL 42/2004, 156

DER SPIEGEL 41/2004, 158 Die Kurve ist Quatsch

H. v. Storch, 2004: http://www.helmholtz.de/de/Aktuelles/Pressemitteilungen_2004/GKSS_01.10.04_Temperaturschwankungen_des_letzten_Millenniums__wahrscheinlich_groesser_als_bisher_angenommen.html

Stuiver, M.S., et al., 1998: INTCAL98 radiocarbon age calibration, 24,000-0 cal BP, Radiocarbon, 40,

1041-1084, - Data: http://depts.washington.edu/qil/datasets/uwten98_14c.txt



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