Was sagt Wikipedia zum Chronologieproblem?


Zur schnellen Erst-Recherche hat sich - auch für den Verfasser - die Wikipedia als wertvolles Hilfsmittel unentbehrlich gemacht. Als Enzyklopedie ist sie darauf ausgerichtet, bei wissenschaftlichen Themen den aktuellen Konsens der Fachleute darzustellen. Dieser muss nicht notwendig den Tatsachen entsprechen, wie sich am Beispiel des Chronologieproblems gut zeigen lässt: Die aus Sicht der Herausgeber angemessene Darstellung führt den unkritischen Leser hier in die Irre.

Obwohl im Prinzip jeder den Inhalt von Artikeln der Wikipedia verbessern darf, sorgt die Zensurinstanz doch dafür, dass die Darstellung neutral erfolgt (Neutral Point of View, NPoV). In der Praxis bedeutet dies, dass unerwünschte Hinweise auf sachliche Irrtümer in den Veröffentlichungen als persönliche Meinung eliminiert und ihre Verfasser im Wiederholungsfall gesperrt werden.

Aufgrund der verengten Sichtweise enthält beispielsweise der Wikipedia-Artikel Dunkle Jahrhunderte (Antike) bislang keinen Hinweis auf das schon 1728 erschienene chronologiekritische Buch des Isaak Newton The Chronology of Ancient Kingdoms Amended, in dem dieser herausragende Wissenschaftler die Diskrepanz zwischen Geschichtsschreibung der Antike und naturwissenschaftlicher Datierung nachweist.

Entsprechend erwähnt auch der Artikel Dunkle Jahrhunderte die in den letzen Jahrzehnten entstandenen Chronologiehypothesen mit keinem Wort. Im Artikel Erfundenes Mittelalter hingegen wird die Illig'sche These von Beginn an als falsch bezeichnet und sodann ausschließlich aus Sicht ihrer Gegner kritisiert. Hinweise auf Fehler, Widersprüche und Auslassungen in diesen Artikeln wurden konsequent unterdrückt, wie ein Blick auf die älteren Versionen zeigt. Ähnliches gilt auch für den Artikel über Heribert Illig (vergl. hierzu den Beitrag der Fantomzeit).

Interessenten an der geschichtlichen Überlieferung kann die Recherche in Wikipedia dennoch helfen, die den Argumenten der Chronologiekritiker zugrunde liegenden Tatbestände zu überprüfen. Die sollten sich jedoch bewusst sein, dass sie dort keine vom Mainstream abweichenden Darstellungen vorfinden werden. Was die Schlussfolgerungen betrifft, so muss sich jeder hier ein eigenes Urteil bilden.

HEK 06/2009
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