Ein Stern, der über Bethlehem stehen bleibt und so drei Königen den Weg weist? Das klingt mehr als phantastisch! Schon etliche Leute haben sich Gedanken darüber gemacht, ob eine bestimmte Planetenkonstellation damit gemeint sein könnte oder ein Komet. Wer die im falschen Jahrhundert suchte, der konnte natürlich nichts finden...
Dem Verfasser des Matthäus-Evangeliums ging es um Glaubwürdigkeit. Warum hätte er sein Werk mit einem Ammenmärchen beginnen sollen? Weise Sterndeuter, so schrieb er, sahen im Morgenland ein eindrucksvolles Schauspiel am Himmel und machten sich dann auf nach Jerusalem und Bethlehem.
Wenn Astronomen vom 'Stillstand' eines Objekts reden, dann bezieht sich das stets auf den Sternhimmel. Bei Planeten und bei Kometen kommt es vor, dass sie sich – von der Erde aus gesehen – in Schleifen bewegen und dabei auch tagelang still zu stehen scheinen. Dies kommt daher, dass sich ja auch die Erde fortbewegt.
Den
Halley'schen Kometen
sollten wir uns einmal etwas genauer ansehen. Der erscheint etwa alle
75
Jahre in Sonnennähe. So auch im April 295 u.Z.
1
Von den Chinesen ist diese Sichtung sogar überliefert. Zuerst abends im Westen und später dann vor Sonnenaufgang im Osten. Er kam dabei der Erde bis auf 0,32 AE, also Erdradien nahe. Seine Bahndaten sind ansonsten recht konstant: Halley bewegt sich auf einer langgezogenen ellipsenförmigen Bahn um die Sonne. Im sonnennächsten Punkt, dem Perihel, betrug der Abstand 0,59 Erdbahnradien, es befand sich also zwischen Venus- und Merkurbahn. Ansonsten verläuft die Bahn gegenläufig zu den anderen Planeten und ist um 18° gegen die Ekliptik geneigt.
Da wir
jetzt den Standort des Kometen
kennen,
können wir uns auch den zugehörigen Teil des Sternhimmels mit einem
Planetariumprogamm ansehen. Kaum zu glauben: Halleys Komet
stand mitten im Sternbild Orion, unter den drei hellen Sternen des
Gürtels, die man seit alter Zeit als 'Die 3 Könige'
bezeichnete. Mehr Übereinstimmung geht wohl nicht! 'Ein
neuer Stern – vor den drei Königen – über Bethlehem'. Wenn
einer der gewiss hoch gebildeten Sterndeuter sich an die Weissagung des
Propheten Micha erinnerte, dann
brauchte er nicht lange über die Bedeutung dieser Himmelserscheinung
zu rätseln.
Schließlich hatte Micha Bethlehem als Geburtsort des Messias bezeichnet. Wenn sich die weisen Herren daraufhin auf den Weg machten, dann muss uns das nicht verwundern.
Und wenn es im Text bei Matthäus heißt, dass der Stern 'über dem Haus' stand, dann sollte man bedenken, dass 'Beth' das hebräische Wort für 'Haus' ist. Vielleicht ist aber auch ein 'Haus' des Tierkreises gemeint. Die kärgliche Unterkunft der Heiligen Familie wird dort jedenfalls nicht als 'Haus', sondern als 'Herberge' bezeichnet.
Damit aber nicht genug: Für Sterndeuter gab es gut ein Jahr nach Halleys Auftauchen gleich nochmal das volle Programm:
Am 31. Oktober 296 u.Z. fand eine auffällige Konjunktion von Jupiter (wörtlich: Gott-Vater) und Mars (er galt den Ägyptern als Himmelsgott Horus, Sohn der Isis) im Sternbild Jungfrau statt.
Kurz darauf, am 11. Januar 297 u.Z. hielt Jupiter 1° vor Spica (auch alfa Virginis bzw. lucida Virginis genannt) in der Bewegung inne und zog sich dann (in einer Schleife) zurück. Spica ist der hellste Stern auf der Ekliptik. Um 300 u.Z. markierte er das Herbstäquinox. Und Spica 'das Kind der Jungfrau' war auch der Geburtsstern des Augustus Oktavian. Vergils 4. Ekloge besingt 'die reine Lucina'.
Am 4. Oktober 297 u.Z. schließlich verschmolzen3 die beiden hellsten Planeten, Jupiter und Venus, der Morgenstern 'zu Füßen' von Virgo und Spica. Den Morgenstern nannten die Römer 'Luzifer', den Lichtbringer.
Wer damals als Sterndeuter von den Botschaften der Gestirne überzeugt war, der brauchte wirklich nicht viel Phantasie, um den Besuch Gott-Vaters im Haus (Sternbild) der Jungfrau zu erkennen.
Offenbar haben also reale astronomische Ereignisse, welche die Menschen wohl jahrzehntelang bewegt haben, ihren Weg in den Geburtsmythos des Matthäus-Evangeliums gefunden. Mit der tatsächlichen Geburt Jesu hatte das allerdings nichts zu tun – es sei denn, man teilte die Sichtweise der Astrologen.
Jetzt fehlt uns eigentlich nur noch die ultimative Bestätigung für die These von der Dichotomie der Jahreszählung: Die Zeitangaben des Neuen Testaments zum geschichtlichen Auftritt von Jesus.
Die drei frühen Evangelien berichten, dass Jesus und seine Jünger am ersten Abend des Passa-Festes das Abendmahl feierten. Nach Johannes fand das letzte Abendmahl jedoch schon 1-2 Tage früher statt. Die Kreuzigung soll an einem Freitag geschehen sein. Der Überlieferung nach begann am gleichen Abend der Sabbat. Schließlich wird Theophil von Cäsarea4 angeführt, der gesagt haben soll, Jesus sei am 22. März seinen Feinden ausgeliefert worden.
Also Freitag, den 22. März? Das schränkt die Auswahl schon mal gewaltig ein. Nicht zu vergessen: Passa ist das Frühlingsfest. Es beginnt mit dem Tag des Vollmonds, dem 14. Nisan im jüdischen Kalenders. Schon Abbo von Fleury hatte versucht, sich einen Reim darauf zu machen. Freitag, den 22. März am Tag nach Vollmond: Da kam für ihn nur das Jahr 12 u.Z. in Frage. Er teilte dies seinen Mönchen in einem Brief mit. Die könnten das als unerträgliche Ketzerei aufgefasst haben. Kurz darauf wurde Abbo jedenfalls von den Klosterbrüdern erstochen.
Aber
vielleicht wussten die Mönche
es besser und konnten ihn der Irrlehre überführen? Nach der
Dichotomie-These müsste die Kreuzigung ja etwa in das Jahr 330 u.Z.
gefallen
sein. Was sagt das Planetarium zum 22. März 330? Der fiel
tatsächlich auf den Tag nach Vollmond, aber es war ein Sonntag! Stimmt vielleicht
die Angabe dieses geheimnisvollen
Theophil gar
nicht so genau?
Maßgebend
war tatsächlich nicht der astronomische, sondern der kalendarische
Vollondtag nach dem jüdischen Kalender. Dort begann das Jahr mit
dem Neujahrsfest Rosch ha-Schana am 1. Tishri - also im Herbst. Das
Neulicht, die feine Mondsichel, erschien am Neujahrstag bei
Sonnenuntergang. Aber wenn die Beobachtung stattfinden konnte, war der
Festtag ja schon vorbei. Der Jahresbeginn musste folglich anhand der
Beobachtung des Neulichts im Vormonats vorausberechnet werden. In
Normaljahren, so die Regel, begann das neue Jahr am Tagesende nach dem
29. Tag des Monats Elul.
Wann genau war im Herbst 329 u.Z. Neumond? Am 11. August, kurz vor 12 Uhr Weltzeit! 29 Tage später, am 9. September 329 war folglich der letzte Tag des Monats Elul, an dessen Abend das neue Jahr begann. Da das Jahr 4090 des jüdischen Kalenders ein Normaljahr war, begann dem zufolge 191 Tage später der 14. Nisan und damit das Passahfest am Donnerstagabend, dem 19. März 330 u.Z. - in jenem Jahr also ausnahmsweise etwas mehr als einen Tag vor dem astronomischen Vollmond!6
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1Halleyscher
Komet – Tabelle der historischen Erscheinungen
www.khalisi.com/vhskurse/kometen/halley.html
3Abstand <0,5' – d.h. visuell nicht auflösbar
4vgl.
die Briefe des Abbo
v. Fleury zur Komputisitk, Herausg. A. Cordoliani, in der Revue
d'Histoire Ecclésiastique, 1949
6Auch
die Angabe des um
200
entstandenen babylonischen Talmud, derzufolge Jesus am Vorabend des
Pessach hingerichtet wurde, erklärt sich mit der Rückrechnung über
das Datum des Frühlings-Vollmonds.